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Artikel aus Integrative Therapie 4/87, S. 407-423:
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Einleitung
Als Ausbilderin von Gestalttherapeuten werde ich häufig mit dem Problem der Verletzungen, die sich in Ausbildungsgruppen und -analysen ereignen, konfrontiert, Phänomene, die mir bei Klienten sowohl aus Einzel- wie aus Gruppentherapien begegnen. Bei diesen Verletzungen unterscheide ich zwischen solchen, die im Verlauf des therapeutischen Erkenntnisprozesses unerläßlich und in ihren Folgen heilend sind, und solchen, die neue Traumata verursachen. Neue Traumata wiederholen und verfestigen in der Regel biographische Verletzungen. Wenn man davon ausgeht, daß der therapeutische Prozeß in den Phasen Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten (Freud) bzw. Initialphase, Aktionsphase, Integrationsphase, Neuorientierung (Petzold 1985, S. 375) zu verlaufen hat, so lassen sich im Hinblick auf die beiden Formen von Verletzungen folgende Unterscheidungen treffen: Bei heilenden Verletzungen werden alle vier Phasen durchlebt. Die Wiederbelebung von Schmerz und Trauerarbeit ermöglicht eine befreiende Erfahrung und Neuorientierung. Bei traumatisierenden Verletzungen hingegen geschieht eine Wiederholung der Kränkung, ohne daß der erlittene Schmerz bewußt werden darf und die emotionale Befreiung durch die Trauerarbeit stattfinden kann.
Eine zentrale Ursache für solche Stagnationen innerhalb von therapeutischen Prozessen ist u. a. in den nicht aufgearbeiteten Verletzungen der Ausbilder für Therapeuten zu suchen. Innerhalb der Gestalttherapie, auf die sich dieser Artikel bezieht, war dieses Thema bisher vorwiegend tabu. Es gibt keine gestalttherapeutische Literatur darüber.1) Nachdem in den Anfangsjahren Euphorie über die Kreativität und Experimentierfreude dieser neuen Therapieform überwog, ist heute eine selbstkritische Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen der Gestalttherapie überfällig.
Seit 1972 (bei Mirko Frýba) setzte ich mich mit der um 1969 in der BRD aufkommenden Gestalttherapie auseinander (seit 1974 als Ausbildungskandidatin am FPI, seit 1981 als Ausbilderin). In einem schmerzlichen Erkenntnisprozeß wurde mir die Bedeutung dieses Themas sowohl im Hinblick auf meine Rolle als Ausbildungskandidatin als auch als Ausbilderin und Therapeutin bewußt. Aufgrund meiner langjährigen Arbeit an dieser Thematik bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß ein Ausweichen vor dieser Fragestellung einem professionellen Leichtsinn gleichkäme. Es ist für jeden im therapeutischen Bereich Arbeitenden unerläßlich, erlittene und zugefügte Verletzungen, als Opfer und als Täter, und die damit verbundenen Probleme der Schuld zu erkennen und emotional durchzuarbeiten.